Ich wurde heute gefragt: Wie sollte für dich die ideale Schule aussehen? Und wenn ich darüber nachdenke, so komme ich nicht umhin zu sehen, wie verschieden die Entwicklung von Kindern ist. Denn Kinder im gleichen Alter unterscheiden sich ja nicht nur durch ihre Körpergröße, Persönlichkeit und Tempo, sondern auch in den Fähigkeiten und Kompetenzen. Was für das eine Kind leicht und schnell zu schaffen ist, dafür benötigt ein anderes viel mehr Anstrengung und Zeit.
Ob es nun um die typischen Schulfächer wie rechnen, schreiben, lesen usw. geht; um körperliche Entwicklung wie Motorik und Geschicklichkeit oder soft skills wie z.B. soziale Kompetenz, Handlungsplanung, Fokus, Selbsteinschätzung, Ausdauer usw. – jedes Kind hat sein eigenes Entwicklungsprofil, das sich von jenen anderer unterscheidet. Manchmal auch gravierend. Das Regel-Schulsystem, das wir heute haben, ist jedoch solchen Unterschieden offensichtlich nicht gewachsen.
Wenn ich dabei an die Erlebnisse mit unserem Sohne denke (und an die Erfahrungen anderer Eltern), wie wenig dieses Schulsystem einem ungewöhnlichen Entwicklungsprofil gerecht geworden ist, so glaube ich wirklich, dass die Zeit für eine Neuerung, für eine Anpassung an die schon lange bekannten Ergebnisse der Lernforschung und ein zukunftsweisendes, ganzheitliches Konzept für die Bildung unserer Kinder gekommen ist.
Nicht mehr für unseren Sohn, er wird in absehbarer Zeit der Schule den Rücken kehren, aber für alle Kinder und Eltern die sich mindestens neun Jahre manche mehr, manche weniger, durch dieses System quälen oder noch quälen werden. Manchmal nur, um am Ende dieser Laufbahn vor lauter Orientierung am Plan Anderer die eigene Orientierung verloren oder nie gefunden haben. Dabei frage ich mich gleich, wieviel es unsere Steuerkassen wohl jährlich kosten mag, diese auf der Strecke gebliebenen, vom Lernen frustrierten, jugendlichen Schulabgänger Beruf und Berufung schmackhaft zu machen. Ich glaube, das will ich lieber nicht wissen.
Für unseren Sohn ist es schlussendlich mit Berufswahl und Ausbildung mit vielen Umwegen doch noch gelungen. Aber frag lieber nicht, was uns das als Familie, mich als Mutter, unseren Sohn und schließlich auch in unseren finanziellen Möglichkeiten gekostet hat. Wenn ich in diesem Punkt mit Eltern spreche, dann höre ich immer sehr ähnliche Geschichten. Wie sehr sie versuchen ihr ungewöhnliches Kind zu unterstützen und welche Anstrengungen sie dabei bereit sind zu leisten.
In Gedanken über unsere Schulgeschichte, kann ich sagen, dass wir uns auf der Suche nach einem gangbaren Weg für unseren Sohn sicher oft im Lern- und Erziehungsdschungel verirrt haben. Aber in einem bin ich mir sicher. Wenn unser Sohn in der Schule die Möglichkeit gehabt hätte in seinem Tempo und auch in der für ihn machbaren Reihenfolge zu lernen, so hätte er mit der ihm gebotenen Zeit alles gelernt, was der Schulplan erfordert.
Wenn nun über eine Neuordnung-Schule eine Diskussion in Gang kommt, dann stößt man auf unterschiedliche Meinungen. Von „so ist das eben, da müssen ja alle Kinder durch“ bis „man sollte die Schule abschaffen“. Dazwischen gibt es viele Ideen und auch bereits vorhandene Beispiele wie Schule und Lernen gelingen kann.
Mit einer vollkommen anderen Haltung (als zu Beginn der Schulkarriere) gegenüber dem, was man unter Lernen versteht, schließe ich mich der Grundidee unseres Sohnes an als ich ihn im Alter von etwa acht Jahren gefragt habe:
„Jedes Kind sollte selbst wählen können, was es gerade lernen will.“
* Deshalb wünsche ich mir eine Schule, die zu den verschiedenen Fähigkeiten und Kompetenzen des Lernens und der Bildung, Kurse in unterschiedlichen Stufen anbietet.
* Ein Kind kann in Testmodulen ausprobieren, ob der Kurs zu leicht, zu schwierig oder der aktuellen Neugierphase entspricht.
* Lehrer (ich mag dieses Wort, wegen seiner Bedeutung: Eine, die durch Nachspüren wissend macht) sind Entwicklungs-Mentoren, Vor-Bild und Ermutigerinnen im Sehen von Potential ebenso, wie im Brücken-legen an schwierigen Überquerungen, wo auch immer solche auftauchen.
So könnte ein Kind zum Beispiel auch gerne drei Jahre an Baumhäusern basteln, dabei seine Ausdauer, Motorik und Handlungsplanung entwickeln, durch Messen und Auszählen ganz praktisch rechnen lernen, ganz nebenbei mit Plänen und Stücklisten schreiben, lesen und zeichnen erarbeiten und noch viele andere nützliche Dinge in aller Tiefe ganzheitlich kennen lernen.
Ein anderes würde vielleicht mit Rechnen und Mathematik starten, weil dort gerade sein tiefstes Interesse ist. Und ein drittes sich in einem Theaterworkshop die Möglichkeiten von Kommunikation, Kooperation mit anderen, einfühlen und ausprobieren in die emotionale Vielfalt einer Rolle bzw. die Fülle des sozialen Miteinanders erleben.
Und wieder andere sättigen ihre Neugier im Schreiben, der Physik, der Geschichte oder was immer auch sonst noch für ein Kindergehirn von brennendem Interesse ist.
So stelle ich mir eine Schule vor, in welche ALLE Kinder gern gehen (egal wo sie in ihrer Entwicklung gerade stehen), weil sie ihrer natürlichen, individuellen Entwicklung und Neugier als Grundbedürfnis entspricht. Und weil sie dabei erleben können, dass ihr Tun und Lernen und ihre Anstrengung erfolgreich ist.
Gar nicht auszudenken, wohin wir oder besser gesagt unsere Kinder und Kindeskinder als Gesellschaft und Menschheit kommen würden, wenn sie so gestärkt in ihr weiteres Leben hinausgehen könnten. Oder?
Riki Wunderer, Mutter eines Sohnes